Witwenschütteln für die Weltrettung

Wer durch München radelt, sieht ab und zu an Laternen und Bäumen kleine Flyer kleben: „Strompreis-Lügen“ heißt es vorn auf dem Faltblatt. Drinnen findet Volksaufklärung statt. Und ganz am Ende, wenn der bange Bürger auf die angegebene Webadresse klickt, wartet noch eine schöne Pointe. Aber davon später.

Neben den „Strompreis-Lügen!“ stehen auf dem Flyerpapier jeweils die passenden „Tatsachen!“; beides erinnert stilistisch an die so genannte Leichte Sprache. Leser, die auf Argumentationen und Zahlen hoffen, gehören offenbar nicht zur Zielgruppe der Lügenbekämpfer. Eine Lüge lautet beispielsweise: „Der Strompreis explodiert, die Verbraucher werden übermäßig belastet“. Und die Widerlegung: „Strom hat den kleinsten Anteil an den privaten Energiekosten. Zudem steigen die Strompreise weniger stark als die Preise für Öl, Gas und Benzin.“ So etwas nennen Psychologen Anker- und Rahmenheuristik ­­– beschwert sich jemand über eine Preissteigerung, dann weist man einfach darauf hin, dass andere Güter noch teurer geworden sind. Auf übertriebene Faktenfülle verzichten die Flugi-Autoren auch auf ihrer Webseite, etwa auf die Mitteilung, dass seit 2014 Steuern, Abgaben und Umlagen erstmals die Hälfte des Strompreises ausmachen. Und dass der größte Brocken der Abgaben, die Ökostromumlage, allein von 2011 bis 2014 von 3,59 auf 6,24 Cent pro Kilowattstunde kletterte.

In diesem Modus geht es weiter: Energiearmut wegen hoher Strompreise? „Energiearmut ist die Folge einer verantwortungslosen Sozialpolitik und einer ungerechten Kostenverteilung von Reich auf Arm.“ Ungerechte Verteilung – das stimmt sogar, allerdings umgekehrt, von Arm zu Reich. Schließlich zahlt die Supermarktkassiererin in Magdeburg mit ihrer EEG-Umlage tatsächlich für die Solaranlage auf dem Villendach in Starnberg. Aber so meinen es die Strompreislügenbekämpfer ja nicht. Sondern, dass der Staat der Supermarktkassiererin durch Umverteilung an anderer Stelle helfen soll. Denn beim Windrad- und Solarpanelaufstellen, das macht das Flugblatt deutlich, geht es um nichts weniger als die Weltrettung: „Nur erneuerbare Energien helfen, zukünftige Energiekrisen und Rohstoffkriege zu verhindern und den Klimawandel zu bremsen.“

Diese und noch viel mehr schöne Erkenntnisse stammen aus dem Umweltinstitut München e. V., einem Verein, dessen Gründer klug erkannt haben, dass es sich bei „Institut“ um eine nicht geschützte, aber außerordentlich nützliche Bezeichnung handelt. Neben Strompreislügen bekämpft das Ökoinstitut nach eigenen Angaben auch Gentechnik, Mobilfunkstrahlung und den Schreckensreiter mit dem Buchstabenkürzel ­ ­– nein, nicht IS, sondern das Freihandelsabkommen TTIP. „Institut“ – das klingt schon nach mehr als „Büro“ oder „Verein“, spart aber im Zweifelsfall die teure Wissenschaft. Nirgends auf der Internetseite existiert ein Hinweis auf so etwas wie Forschungsprojekte. Aber die hält das Institutsteam vermutlich für überschätzt. In einem Internet-Video tritt der Institutsexperte für Mobilfunkstrahlung auf. Nein, konkrete Anhaltpunkte für Gesundheitsgefahren gebe es nicht, sagt er mit besorgtem Gesicht. Aber die langfristigen Folgen seien ja noch gar nicht bekannt: „Wir wissen noch viel zu wenig.“ Die Expertise des Instituts zu Gentechnik liest sich folgendermaßen: Der mit Vitamin A angereicherte „Golden Rice“, der Hunderttausende vor der Flussblindheit schützen könnte, ist „überflüssig“, denn: „Die Natur stellt auch ohne Gentechnik eine ausgewogene Ernährung sicher.“ Nach diesem Muster könnte man auch argumentieren: Wer erfolgreich darauf achtet, gesund zu bleiben, der braucht keine Medikamente.

Ganz ohne ein bisschen Wissenschaftszauber kommt der Verein für Grünlobbygeklapper und Esoterik nicht aus, weshalb er sich zusätzlich der Rettung der Bayern vor dem Atomtod widmet:

„Seit Tschernobyl untersucht das Umweltinstitut München Lebensmittel und andere Umweltproben auf radioaktive Belastung. Besonders in Süddeutschland können Waldprodukte noch hohe Cäsium-Werte aufweisen. Wir führen kontinuierliche Messungen der Außenluft durch, um den BürgerInnen bei einem möglichen Atomunfall rechtzeitig Handlungsempfehlungen geben zu können.“

Und nun zur angekündigten Pointe respektive zur entscheidenden Frage: wie finanziert sich eigentlich die kunterbunte Villa Sockenschuss e.V.? Zum einen durch die Steuerzahler, deren Geld die Landeshauptstadt München mit freundlicher Empfehlung an das Umweltinstitut weiterreicht. Zweitens durch Bußgelder, die Gerichte gewissermaßen als Zwangsablasshandel verhängen, und drittens, ganz freiwillig, durch Förderer, die im Gegenzug womöglich kostenfrei den Cäsiumwert ihrer Schwammerln aus dem Bayerischen Wald testen lassen können. Und viertens? Da kommt, so scheint es jedenfalls, eine sehr bewährte Methode zum Einsatz:

„Machen Sie sich Gedanken darüber, wie Sie Menschen oder Anliegen, die Ihnen wichtig sind, über Ihr Leben hinaus absichern können?

Mit Ihrem Vermächtnis ermöglichen Sie dem Umweltinstitut München e.V., weiterhin unabhängig für unsere Umwelt einzutreten. Bitte lassen Sie uns gemeinsam eine lebenswerte Zukunft für unsere Kinder bewahren.

Ein Testament will wohl überlegt sein. Wir kümmern uns um Ihre Anliegen diskret und persönlich. Ihre Daten werden streng vertraulich behandelt.“

(http://www.umweltinstitut.org/spendenfoerdern/erbschaft.html)

Zur Illustration des Witwenschütteltextes auf der Institutswebseite dient ein durchsonnter Waldweg; darunter findet der ältere Mitbürger eine Telefonnummer und ein Foto seines künftigen Testamentsberaters. Bei ihm handelt es sich offenbar um eine Reinkarnation der geschäftstüchtigen Nonne Elisabeth aus Basel, die seinerzeit der Kabarettist Wolfgang Neuss erfunden hatte: „Schreiben Sie uns! Schreiben Sie uns auf unser Konto!“ Die Methode Weltrettung plus Klingelbeutel funktioniert seit Jahrhunderten einfach zu gut, als dass man sie nur der Kirche überlassen sollte.

Aber ob es nun am Foto des Testamentsberaters liegt oder an der starken Konkurrenz in der Weltrettungsbranche – das Ökoinstitut München teilt jedenfalls auf Nachfrage mit, dass es das „Modell der erbschaftlichen Zuwendung“ zwar anbiete, dass es aber seit der Institutsgründung 1986 „nicht in Anspruch genommen wurde“.

Möglicherweise verhalten sich die reichen Grünwalder Witwen rationaler, als man denkt.

 

Der „Grüne Blackout“ für alle

Den Stromkunden stehen teure Zeiten bevor. Aber auch spannende. Am kommenden Dienstag urteilt der Europäische Gerichtshof, ob auch ausländische Ökostromproduzenten, die ins deutsche Netz einspeisen, die EEG-Umlage von 6,24 Cent pro Kilowattstunde beanspruchen können. Sagt der Gerichtshof Ja, dann wär das ein Sprengsatz für das gerade zusammengeflickte und notreparierte Ökoenergie-Finanzierungssystem. Und erst Recht für das Budget einer Normalfamilie, die schon jetzt über 240 Euro pro Jahr an Stütze für Grünstromproduzenten zahlt.

Gleichzeitig rutschen fast alle konventionellen Kraftwerke Deutschlands ins Minus, weil der vorrangig eingespeiste und subventionierte Ökostrom sie aus dem Geschäft drängt. Zurzeit geht es nur noch um die Frage: subventioniert in Zukunft der Staat die Kohle- und Gaskraftwerke, die zwar gebraucht werden, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, die aber zu Verlusten gezwungen werden, weil sie nur noch eine Lücke füllen dürfen? Oder übernimmt der Staat die Kraftwerke gleich selbst? So oder so: Die Vorhaltekosten für Anlagen, die nötig sind, aber kaum noch ans Netz dürfen, liegen ungefähr bei einer halben Milliarde Euro pro Gigawatt und Jahr.

Die Rechnung dafür geht an: siehe oben.

Die Energiewende beginnt also zu wirken. Und deshalb war der „Grüne Blackout. Warum die Energiewende nicht funktionieren kann“ noch nie so aktuell wie jetzt.

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Auch wenn Sie Fragen und Anregungen haben – ich freue mich auf Ihre Mails an: alexander (at) alexander-wendt.com.

 

Bildnachweis: Hugh Gallagher, Creative Commons

Herr Gabriel macht einen Kompromiss

Tief ist der Brunnen der Vergangenheit, in den der Steuer- und Abgabenbürger gelegentlich schauen muss. Im Jahr 2005 kämpfte die SPD gegen eine drohende Merkel-Regierung, sie attackierte zu diesem Zweck vor allem die Ankündigung der Union, die Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte anzuheben. Das sei den Bürgern unzumutbar. Die SPD erfand den Slogan: „Merkelsteuer, das wird teuer.“ Nach der Wahl fanden sich die Sozialdemokraten in der Regierung mit Merkel wieder, und schlossen einen historischen Mehrwertsteuerkompromiss: Der Abgabensatz stieg nicht um zwei, sondern um drei Prozentpunkte.
Diese Geschichte des hart erkämpften Kompromisses wiederholt sich gerade. Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel trat sein neues Amt mit der Versicherung an, die Ökostromumlage müsse endlich einmal sinken, zumindest dürfe sie nicht weiter steigen. Die Belastung der Bürger sei hoch genug. Gerade die Sozialdemokraten müssten die Kosten der Energiewende in den Griff bekommen. Gabriel legte einen Entwurf für ein verbessertes Erneuerbare-Energien-Gesetz vor, plante hier eine kleine Begrenzung bei Windstromsubventionen und dort eine vorsichtige Kappung bei Biogas. Dann ging er in die Verhandlung mit den Bundesländern. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) hatte sich schon vorab beschwert und mitgeteilt, er halte Gabriels Subventionsgrenze von 2500 Megawatt Windkraft für neu errichtete Räder an Land pro Jahr für „reinen Sozialismus“.

Offenbar gibt es keinen schlimmeren Vorwurf unter Sozialdemokraten. Jedenfalls vereinbarte Sigmar Gabriel nach einer abendlichen Verhandlung mit den Ministerpräsidenten im Kanzleramt einen Kompromiss: Die Ökostromumlage sinkt nicht, sie bleibt auch nicht gleich. Sondern sie steigt weiter. Wenn bestehende Windräder an Land durch größere Rotoren ersetzt werden, dann fallen sie nicht unter die ohnehin schon großzügige Deckelung für Windkraftsubventionen, sondern dürfen sich auch jenseits der 2500-Megawatt-Line aus dem Umlagetopf bedienen. Auch diese Änderung drängten vor allem die Nordländer. Und es bleibt zwar im Prinzip bei Gabriels Vorstellung, nur noch den Neubau von 100 Megawatt jährlich bei Biogasanlagen zu subventionieren. Aber: Landwirte, die ihre bestehenden Anlagen weiter ausbauen, bekommen für den Strom aus dem Pflanzengas weiter praktisch unbegrenzt Subventionen. Diese kleine Korrektur lag vor allem Horst Seehofer am Herzen. Für Betreiber von Offshore-Windkraft-Plattformen verlängerte Gabriel selbst –  ziemlich unbemerkt von der Öffentlichkeit –  den Höchstfördersatz von 19 Cent pro Kilowattstunde. An der Strombörse kostet eine Kilowattstunde zurzeit ungefähr 4 Cent;  bei jeder Kilowattstunde Offshore-Windstrom muss der Stromkunde über die EEG-Umlage also 15 Cent zuschießen. Es dürfte weltweit nicht viele Fälle geben, in denen die Subventionshöhe eines Gutes mehr als das Dreifache des Basispreises beträgt.  Liegen die Anschlusskabel für eine Rotorenplattform nicht rechtzeitig, dann zahlt der Stromkunde auch: nämlich Offshore-Haftungsumlage.

Eine ganz naheliegende Idee stand übrigens weder vor, noch nach dem Kompromiss in Gabriels Gesetzentwurf, nämlich der Gedanke, die Subventionslaufzeit für neue Windräder, Solardächer und Biogasanlagen wenigstens zu begrenzen, auf fünf oder sieben Jahre, wenn schon die politische Kraft für die Abschaffung des EEG nicht reicht.  Die Betreiber aller neuen Grünstromanlagen, die jetzt und demnächst ans Netz gehen, können sich nach wie vor über 20 neue subventionierte Jahre freuen. Die EEG-Umlage ist damit mindestens bis in die dreißiger Jahre des 21. Jahrhunderts sicher.

Und der nächste Kompromiss auch.

 

Jürgen Trittin, die Cheshire Cat

Cheshire Cat Tenniel
via Wikimedia Commons

Jürgen Trittin gehört seit gut drei Jahrzehnten zur politischen Grundausstattung dieser Republik. Mit seinem Ich-weiß-etwas-was-du-nicht-weißt-Schmunzeln, das fast alle Äußerungen von ihm begleitet, erinnert er ein wenig an die Cheshire Cat respektive Grinsekatze in Alices Wunderland, merkwürdigerweise erst Recht, nachdem er irgendwann seinen Schnurbart aus dem Gesicht  eskamotierte. In das Herz der Bürger und speziell der Stromverbraucher redete sich der damalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin vor ziemlich genau zehn Jahren mit dem historischen Satz: „Es bleibt dabei, dass die Förderung erneuerbarerer Energien einen durchschnittlichen Haushalt nur rund einen Euro im Monat kostet – so viel wie eine Kugel Eis.“ Was einem Jahresbetrag von 12 Euro entsprochen hätte. Heute beträgt die Ökoenergieumlage eines Dreipersonenhaushalts mit 3 500 Kilowattstunden Jahresverbrauch ziemlich genau das Zwanzigfache, nämlich 240 Euro.

Umso überraschter dürften Leser der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung1) gewesen sein, als sie im Wirtschaftsteil Jürgen Trittins Meinungsbeitrag lasen: „Wir müssen uns von Putins Gas befreien.“ Wer nun erwartete, Trittin würde für Fracking und Braunkohleverstromung plädieren, um die energiepolitische Abhängigkeit von Russland zu mindern, sieht sich schon auf den ersten Zeilen getäuscht. Er spricht sich auch nicht dagegen aus, sondern erwähnt die Tatsache, dass Deutschland mit Braunkohle einen einheimischen kostengünstigen Energieträgen besitzt und zusätzlichüber größere Gasvorkommen verfügt, mit keinem Wort. Stattdessen garantiert –  Überraschung – nach seinen Worten der noch schnellere Ausbau der Grünenergien in Deutschland die Unabhängigkeit von Moskau und den Saudis. Trittin:

„Deutschlands Energiewende ist ein Beispiel für ein Gewinn an Unabhängigkeit und Souveränität. Der stürmische Ausbau der erneuerbaren Energien …macht pro Jahr Importe im Wert von 10  Milliarden Euro überflüssig. Dieses Geld trägt in Deutschland zur Wertschöpfung bei, es stärkt weder Putin noch den saudischen König Abdallah.“

Übergehen wir einfach den Umstand, dass die durch die Ökoenergien fast ausschließlich Strom erzeugt wird, den Deutschland auch früher nicht aus Saudiarabien bezogen hatte, umgehen wir also die kleine Unwucht in Trittins Gedankengang und wenden uns den Zahlen zu: Es kann sein, dass die Energiewende rein rechnerisch Brennstoffimporte im Wert von 10 Milliarden Euro pro Jahr spart. Allerdings um den Preis von mehr als 20 Milliarden Euro Subventionen pro Jahr. Nach diesem Modell könnte die Bundesrepublik auch den staatlich geförderten Ananasanbau in Niedersachsen vorantreiben, um die Kosten des Südfrüchteimports zu sparen. Und was die Wertschöpfung im Inland angeht: Eine beeindruckend lange Reihe von grünen Ex-Unternehmen, von Solo und Q-Cells über Conergy, Windreich und Windwärts kann sich wegen einer leider dazwischengekommenen Insolvenz leider nicht mehr so Recht an der Wertschöpfung beteiligen. Die Solarworld AG, Deutschlands letzter großer Solarmodulhersteller, plant in diesem Jahr einen Verlust von 20 Millionen Euro. Jeder dritter so genannte Bürgerwindpark erwirtschaftet noch nicht einmal die Bankzinsen.

Auf der anderen Seite errichtet die Wacker Chemie AG aus dem bayerischen Burghausen gerade ein Werk in Tennessee, USA, weil dort die Energiepreise, dank Fracking, bei etwa der Hälfte der deutschen liegen. Und die Chemieindustrie als Ganzes investiert in den kommenden fünf Jahren nur noch 25 Prozent ihres Geldes im eigenen Land,den Rest auswärts.

Beeindruckend fällt an Jürgen Trittins Plädoyer vor allem eines aus: Mit keinem Wort erwähnt er die Kampagne von BUND, Grünen und anderen, um nach dem durchgesetzten Atomausstieg auch noch die Kohle aus dem Netz zu drängen, unter dem Motto: „Kohle nur noch zum Grillen“. Es würde auch nicht ganz in seine Argmentationslinie passen.

Wenn die restlichen neun Atommeiler in den kommenden Jahren abgeklemmt werden, Kohle die Stelle des neuen Menschheitsfeindes einnimmt, und das eigene Gas dank eines hysterisch durchgesetzten Frackingverbotes im Boden bleibt, dann stellt sich allerdings die Frage: Womit soll dann die Grundlast im deutschen Stromnetz erzeugt werden? Denn Sonne und Wind können zwar an einem ertragreichen und bedarfsschwachen Tag – wie im Sommer 2013 geschehen – fast den gesamten Strom Deutschlands allein erzeugen, oft genug fließt dann das Netz über. An trüben Wintertagen schnurrt der Grünstromanteil allerdings auf ein Fünfzigstel der installierten Leistung zusammen. Weder am Wetter noch an Deutschlands Breitengrad kann die Politik etwas ändern. Die meisten Politiker wissen mittlerweile, was viele Stromverbraucher noch nicht verstehen: Dass die Energiewende den konventionellen Kraftwerkspark gar nicht verdrängt, sondern den Aufbau eines wetterabhängigen und extrem teuren Zweitsystems bedeutet. Je stärker dieses Zweitsystem wächst, desto dringender stellt sich die Frage, womit es abgepuffert werden soll, wenn nach grüner Orthodoxie einheimische Rohstoffe nicht verstromt, ja am besten noch nicht einmal abgebaut werden dürfen. Was bleibt also, um die Lücke zu füllen? Gas? Aus Russland?

Vermutlich musste sich Trittin bei der Abfassung seines FAS-Textes wie ein Schüler gefühlt haben, dem am Ende seines Traktates siedendheiß das Aufsatzthema einfällt,an dem er gerade vorbei schreibt. Puh! Wie kommt man da wieder raus? Europa hilft immer:

„Wir brauchen anspruchsvolle…Ausbauziele für Erneuerbare wie für Energieeffizienz für die EU – unterlegt mit verbindlichen Zielen für jeden einzelnen Mitgliedstaat.“

Wer ist hier eigentlich „wir? Um mit Gerhard Polt zu antworten: Ich nicht. Eigentlich ist Trittins Argumentation aber ganz folgerichtig, wenn man es auch nicht auf den ersten Blick erkennt: Sollte die Bundesregierung tatsächlich anfangen, Frankreich mit seinem Atomstrom und Polen mit seiner Braunkohle die deutsche Energiewende aufzudrängen, dann erledigt sich Problem um Putin und die Krim  – wie hätte Jürgen Trittin früher gesagt? – automatisch als Nebenwiderspruch.

Abgesehen davon: die Ukraine, der Maidan, die Demokraten in Russland und Putins Politik interessieren Trittin in seiner Wortmeldung nicht eine Millisekunde lang –  sondern nur die Frage, was aus der Krimkrise argumentativ für seine Klientel herausspringt.

Von der Cheshire Cat in Alice im Wunderland blieb bekanntlich noch ihr Grinsen in der Luft hängen, als sich die Katze selbst schon unsichtbar gemacht hatte. Wahrscheinlich ist es auch dieses vertraute Ich-weiß-Bescheid-Lächeln, das irgendwann einmal von Jürgen Trittin bleiben wird.


1) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 16. März 2014 

 

„Der grüne Blackout“ im MDR

Die meisten Medien berichten mittlerweile deutlich kritischer über die Ökoenergien als noch vor drei Jahren. Das Kulturradio MDR Figaro sprach am Dienstag 11. März mit mir über mein Buch „Der grüne Blackout“ und die Probleme der verfahrenen Energiewende. Hier noch einmal das Gespräch, ­ gesendet im Journal am Mittag um 12.10 Uhr, zum Nachhören.

 

 

Danke

Das Buch „Der grüne Blackout“ klettert unermüdlich die Amazon-Rangliste nach oben. Zeit, um Danke zu sagen: David le Viseur mit seiner prima Firma booklift.de für seinen Einfallsreichtum, Alex Feuerherdt für sein unschlagbares Sprachgefühl, und Matthias Matting für Rat und Hilfe.

 

Plötzlich Mainstream

Ich bin ohne eigenes Zutun in etwas hineingeraten: in die Mitte, den Mainstream, den Konsens. Wie gesagt, ich hatte es nicht darauf angelegt. Mein E-Buch „Der grüne Blackout. Warum die Energiewende nicht funktionieren kann“ steht seit heute zum Herunterladen bereit. Möglicherweise wirkt es im März 2014 tatsächlich nicht mehr völlig wie eine Nischenpublikation. Ich nehme das mit leichter Erschütterung hin.

Bis vor kurzem gab es immer eine sehr zuverlässige Methode, um das Wohlwollen ansonsten freundlicher Menschen zu riskieren: Ich musste nur erwähnen, dass ich die Komplettumstellung der deutschen Stromversorgung auf Wind und Sonne für ein Projekt von Esoterikern, Naturwissenschaftsphobikern und fähigen Lobbyisten halte. Nicht, dass mir meine Gesprächspartner daraufhin komplexe Argumente an den Kopf geworfen hätten. Eine Standardentgegnung lautete: Ach, du findest wohl Kernkraft gut? Wenn ich meinen Zweifel an der Weisheit des Plans durchblicken ließ, beispielsweise gleich neben den Drachenfels über dem Rhein einen Windpark in ein Flora-Fauna-Habitat-Gebiet zu klotzen, dessen Rotoren in diesem ausgeprägten Schwachwindgebiet noch nicht einmal nennenswerte Energieausbeute versprechen, hieß es ab und zu: Willst du denn lieber ein Braunkohlemeiler am Rhein? Ein paar Leute fanden außerdem meine habituelle Tarnung hochgradig tückisch: Fahrradfahrer, Vegetarier, ein ökologischer Minifußabdruck im Vergleich zu Margot Käßmann – und dann solche Ansichten.

Jedenfalls, als ich im Oktober 2013 damit anfing, „Der grüne Blackout“ zu schreiben, tat ich das im Bewusstsein, zu einer kleinen skurrilen Minderheit zu zählen. Ich saß Abend für Abend inmitten von Recherchematerial, gegen das niemand etwas einwenden konnte, weil es zu hundert Prozent aus öffentlichen Quellen stammte: Netzagentur-Berichte über den Phantomstrom etwa, den Windradbetreiber gar nicht produzieren, aber trotzdem vergütet bekommen, oder über Ökostrom, der in Deutschland erst teuer produziert und anschließend noch einmal teuer nach Frankreich verklappt wird. Oder Daten über die Verluste, die etwa jeder dritte so genannte Bürgerwindpark trotz aller Subventionen einfährt.

Wie weit draußen ich stand, machte mir aus der Ferne ein deutsches Delegationsmitglied der Weltklimakonferenz in Warschau klar, die sagte, die Energiewende sei das größte Projekt ihres Landes seit dem Zweiten Weltkrieg, und die Bevölkerung würde es nahezu geschlossen unterstützen.

Dann, während ich die letzten Kapitel schrieb, passierte etwas. Es gab eine Forsa-Umfrage, in der nur noch 9 Prozent der Befragten angaben, sie könnten sich eine Vollversorgung Deutschlands mit Ökostrom vorstellen. Im Jahr 2011 lag dieser Anteil noch bei 39 Prozent. Die Umfrage schaffte es zwar nur in sehr wenige überregionale Medien, fand aber im Berliner Regierungsviertel und in den Landeshauptstädten offenbar Leser. Als erster grüner Politiker sagte der schleswig-holsteinische Energiewendeminister Robert Habeck Ende 2013, die festen Vergütungen für Ökostrom seien zu hoch, sie müssten sinken, sonst würde es bald gar keine Unterstützung der Bürger für Windräder und Solarkraftwerke geben. Der Chef der halbstaatlichen Deutschen Energieagentur Stephan Kohler meinte, der völlig planlose Ausbau von Grünstromanlagen weitab von Stromnetzen und Verbrauchern müsse sofort aufhören, „sonst fährt die Energiewende gegen die Wand“. Und Sigmar Gabriel, als neuer Energiewendeminister frisch vereidigt, erklärte in einem seiner ersten Interviews, er finde erstens, der Atomausstieg sei 2011 zu hastig durchgepaukt worden, zweitens könne Deutschland nicht gleichzeitig aus Atom und Kohle aussteigen. Und drittens: die Förderkosten für Ökostrom müssten dringend runter. Die meisten Berliner Journalisten konnten sich vor Schreck gar nicht daran erinnern, dass vor längerer Zeit ein kleiner korpulenter Sozialdemokrat aus Goslar im Umweltministerium saß und dort vor allem die exorbitanten Solarförderungen widerstandslos durchwinkte, jedenfalls erwähnte es praktisch keiner, aber  wie auch immer, Gabriel in seinem neuen, gewissermaßen noch unbenutzten Amt setzte einen ganz neuen Ton.

Im Februar 2014 schließlich – mein Buch war schon abgeschlossen – kam ein Sachverständigenrat der Bundesregierung zu dem Schluss, das Erneuerbare-Energien-Gesetz trage so gut wie nichts zur technischen Innovation bei, und sollte daher schleunigst abgeschafft werden. Genau das hatte ich einige Wochen vorher auch geschrieben, vor Kühnheit zitternd und gleichzeitig vor Angst, nach der Veröffentlichung nie wieder von meinen grünen Freunden eingeladen zu werden.

Wie fühlt es sich nun an, wenn der eigene kleine Nebenarm der Diskussion plötzlich zum Hauptstrom anschwillt? Überraschend. Aber ganz so konfliktlos verschmelzen die Ströme ja doch nicht. Sigmar Gabriel will das Erneuerbare-Energien-Gesetz umbauen, nicht abschaffen. Und die eigentliche Lobbyistenschlacht steht noch bevor: sie beginnt, wenn um Ostern herum genau feststeht, welcher Ökoenergieproduzent auf welche Wohltaten verzichten soll. Mehr als 20 Milliarden Euro verteilt das EEG um, und die Branche dürfte keinen einzigen Euro kampflos hergeben, sondern bei jedem einzelnen die Taifunopfer auf den Philippinen beschwören.

Die Teilwende der deutschen Energiepolitik überholt den Lesestoff des „Grüne Blackout“ nicht, nämlich die Geschichte, wie eine kleine, bestens organisierte Einflussgruppe es schaffte und größtenteils immer noch schafft, ihre eigenen Erwerbsinteressen zum Allgemeinwohl zu erklären. Das bleibt auch im März 2014 ein realitätsgesättigter Thriller. Aber: heimlich muss ihn jetzt keiner mehr lesen.