Wer durch München radelt, sieht ab und zu an Laternen und Bäumen kleine Flyer kleben: „Strompreis-Lügen“ heißt es vorn auf dem Faltblatt. Drinnen findet Volksaufklärung statt. Und ganz am Ende, wenn der bange Bürger auf die angegebene Webadresse klickt, wartet noch eine schöne Pointe. Aber davon später.
Neben den „Strompreis-Lügen!“ stehen auf dem Flyerpapier jeweils die passenden „Tatsachen!“; beides erinnert stilistisch an die so genannte Leichte Sprache. Leser, die auf Argumentationen und Zahlen hoffen, gehören offenbar nicht zur Zielgruppe der Lügenbekämpfer. Eine Lüge lautet beispielsweise: „Der Strompreis explodiert, die Verbraucher werden übermäßig belastet“. Und die Widerlegung: „Strom hat den kleinsten Anteil an den privaten Energiekosten. Zudem steigen die Strompreise weniger stark als die Preise für Öl, Gas und Benzin.“ So etwas nennen Psychologen Anker- und Rahmenheuristik – beschwert sich jemand über eine Preissteigerung, dann weist man einfach darauf hin, dass andere Güter noch teurer geworden sind. Auf übertriebene Faktenfülle verzichten die Flugi-Autoren auch auf ihrer Webseite, etwa auf die Mitteilung, dass seit 2014 Steuern, Abgaben und Umlagen erstmals die Hälfte des Strompreises ausmachen. Und dass der größte Brocken der Abgaben, die Ökostromumlage, allein von 2011 bis 2014 von 3,59 auf 6,24 Cent pro Kilowattstunde kletterte.
In diesem Modus geht es weiter: Energiearmut wegen hoher Strompreise? „Energiearmut ist die Folge einer verantwortungslosen Sozialpolitik und einer ungerechten Kostenverteilung von Reich auf Arm.“ Ungerechte Verteilung – das stimmt sogar, allerdings umgekehrt, von Arm zu Reich. Schließlich zahlt die Supermarktkassiererin in Magdeburg mit ihrer EEG-Umlage tatsächlich für die Solaranlage auf dem Villendach in Starnberg. Aber so meinen es die Strompreislügenbekämpfer ja nicht. Sondern, dass der Staat der Supermarktkassiererin durch Umverteilung an anderer Stelle helfen soll. Denn beim Windrad- und Solarpanelaufstellen, das macht das Flugblatt deutlich, geht es um nichts weniger als die Weltrettung: „Nur erneuerbare Energien helfen, zukünftige Energiekrisen und Rohstoffkriege zu verhindern und den Klimawandel zu bremsen.“
Diese und noch viel mehr schöne Erkenntnisse stammen aus dem Umweltinstitut München e. V., einem Verein, dessen Gründer klug erkannt haben, dass es sich bei „Institut“ um eine nicht geschützte, aber außerordentlich nützliche Bezeichnung handelt. Neben Strompreislügen bekämpft das Ökoinstitut nach eigenen Angaben auch Gentechnik, Mobilfunkstrahlung und den Schreckensreiter mit dem Buchstabenkürzel – nein, nicht IS, sondern das Freihandelsabkommen TTIP. „Institut“ – das klingt schon nach mehr als „Büro“ oder „Verein“, spart aber im Zweifelsfall die teure Wissenschaft. Nirgends auf der Internetseite existiert ein Hinweis auf so etwas wie Forschungsprojekte. Aber die hält das Institutsteam vermutlich für überschätzt. In einem Internet-Video tritt der Institutsexperte für Mobilfunkstrahlung auf. Nein, konkrete Anhaltpunkte für Gesundheitsgefahren gebe es nicht, sagt er mit besorgtem Gesicht. Aber die langfristigen Folgen seien ja noch gar nicht bekannt: „Wir wissen noch viel zu wenig.“ Die Expertise des Instituts zu Gentechnik liest sich folgendermaßen: Der mit Vitamin A angereicherte „Golden Rice“, der Hunderttausende vor der Flussblindheit schützen könnte, ist „überflüssig“, denn: „Die Natur stellt auch ohne Gentechnik eine ausgewogene Ernährung sicher.“ Nach diesem Muster könnte man auch argumentieren: Wer erfolgreich darauf achtet, gesund zu bleiben, der braucht keine Medikamente.
Ganz ohne ein bisschen Wissenschaftszauber kommt der Verein für Grünlobbygeklapper und Esoterik nicht aus, weshalb er sich zusätzlich der Rettung der Bayern vor dem Atomtod widmet:
„Seit Tschernobyl untersucht das Umweltinstitut München Lebensmittel und andere Umweltproben auf radioaktive Belastung. Besonders in Süddeutschland können Waldprodukte noch hohe Cäsium-Werte aufweisen. Wir führen kontinuierliche Messungen der Außenluft durch, um den BürgerInnen bei einem möglichen Atomunfall rechtzeitig Handlungsempfehlungen geben zu können.“
Und nun zur angekündigten Pointe respektive zur entscheidenden Frage: wie finanziert sich eigentlich die kunterbunte Villa Sockenschuss e.V.? Zum einen durch die Steuerzahler, deren Geld die Landeshauptstadt München mit freundlicher Empfehlung an das Umweltinstitut weiterreicht. Zweitens durch Bußgelder, die Gerichte gewissermaßen als Zwangsablasshandel verhängen, und drittens, ganz freiwillig, durch Förderer, die im Gegenzug womöglich kostenfrei den Cäsiumwert ihrer Schwammerln aus dem Bayerischen Wald testen lassen können. Und viertens? Da kommt, so scheint es jedenfalls, eine sehr bewährte Methode zum Einsatz:
„Machen Sie sich Gedanken darüber, wie Sie Menschen oder Anliegen, die Ihnen wichtig sind, über Ihr Leben hinaus absichern können?
Mit Ihrem Vermächtnis ermöglichen Sie dem Umweltinstitut München e.V., weiterhin unabhängig für unsere Umwelt einzutreten. Bitte lassen Sie uns gemeinsam eine lebenswerte Zukunft für unsere Kinder bewahren.
Ein Testament will wohl überlegt sein. Wir kümmern uns um Ihre Anliegen diskret und persönlich. Ihre Daten werden streng vertraulich behandelt.“
(http://www.umweltinstitut.org/spendenfoerdern/erbschaft.html)
Zur Illustration des Witwenschütteltextes auf der Institutswebseite dient ein durchsonnter Waldweg; darunter findet der ältere Mitbürger eine Telefonnummer und ein Foto seines künftigen Testamentsberaters. Bei ihm handelt es sich offenbar um eine Reinkarnation der geschäftstüchtigen Nonne Elisabeth aus Basel, die seinerzeit der Kabarettist Wolfgang Neuss erfunden hatte: „Schreiben Sie uns! Schreiben Sie uns auf unser Konto!“ Die Methode Weltrettung plus Klingelbeutel funktioniert seit Jahrhunderten einfach zu gut, als dass man sie nur der Kirche überlassen sollte.
Aber ob es nun am Foto des Testamentsberaters liegt oder an der starken Konkurrenz in der Weltrettungsbranche – das Ökoinstitut München teilt jedenfalls auf Nachfrage mit, dass es das „Modell der erbschaftlichen Zuwendung“ zwar anbiete, dass es aber seit der Institutsgründung 1986 „nicht in Anspruch genommen wurde“.
Möglicherweise verhalten sich die reichen Grünwalder Witwen rationaler, als man denkt.