Ich bin ohne eigenes Zutun in etwas hineingeraten: in die Mitte, den Mainstream, den Konsens. Wie gesagt, ich hatte es nicht darauf angelegt. Mein E-Buch „Der grüne Blackout. Warum die Energiewende nicht funktionieren kann“ steht seit heute zum Herunterladen bereit. Möglicherweise wirkt es im März 2014 tatsächlich nicht mehr völlig wie eine Nischenpublikation. Ich nehme das mit leichter Erschütterung hin.
Bis vor kurzem gab es immer eine sehr zuverlässige Methode, um das Wohlwollen ansonsten freundlicher Menschen zu riskieren: Ich musste nur erwähnen, dass ich die Komplettumstellung der deutschen Stromversorgung auf Wind und Sonne für ein Projekt von Esoterikern, Naturwissenschaftsphobikern und fähigen Lobbyisten halte. Nicht, dass mir meine Gesprächspartner daraufhin komplexe Argumente an den Kopf geworfen hätten. Eine Standardentgegnung lautete: Ach, du findest wohl Kernkraft gut? Wenn ich meinen Zweifel an der Weisheit des Plans durchblicken ließ, beispielsweise gleich neben den Drachenfels über dem Rhein einen Windpark in ein Flora-Fauna-Habitat-Gebiet zu klotzen, dessen Rotoren in diesem ausgeprägten Schwachwindgebiet noch nicht einmal nennenswerte Energieausbeute versprechen, hieß es ab und zu: Willst du denn lieber ein Braunkohlemeiler am Rhein? Ein paar Leute fanden außerdem meine habituelle Tarnung hochgradig tückisch: Fahrradfahrer, Vegetarier, ein ökologischer Minifußabdruck im Vergleich zu Margot Käßmann – und dann solche Ansichten.
Jedenfalls, als ich im Oktober 2013 damit anfing, „Der grüne Blackout“ zu schreiben, tat ich das im Bewusstsein, zu einer kleinen skurrilen Minderheit zu zählen. Ich saß Abend für Abend inmitten von Recherchematerial, gegen das niemand etwas einwenden konnte, weil es zu hundert Prozent aus öffentlichen Quellen stammte: Netzagentur-Berichte über den Phantomstrom etwa, den Windradbetreiber gar nicht produzieren, aber trotzdem vergütet bekommen, oder über Ökostrom, der in Deutschland erst teuer produziert und anschließend noch einmal teuer nach Frankreich verklappt wird. Oder Daten über die Verluste, die etwa jeder dritte so genannte Bürgerwindpark trotz aller Subventionen einfährt.
Wie weit draußen ich stand, machte mir aus der Ferne ein deutsches Delegationsmitglied der Weltklimakonferenz in Warschau klar, die sagte, die Energiewende sei das größte Projekt ihres Landes seit dem Zweiten Weltkrieg, und die Bevölkerung würde es nahezu geschlossen unterstützen.
Dann, während ich die letzten Kapitel schrieb, passierte etwas. Es gab eine Forsa-Umfrage, in der nur noch 9 Prozent der Befragten angaben, sie könnten sich eine Vollversorgung Deutschlands mit Ökostrom vorstellen. Im Jahr 2011 lag dieser Anteil noch bei 39 Prozent. Die Umfrage schaffte es zwar nur in sehr wenige überregionale Medien, fand aber im Berliner Regierungsviertel und in den Landeshauptstädten offenbar Leser. Als erster grüner Politiker sagte der schleswig-holsteinische Energiewendeminister Robert Habeck Ende 2013, die festen Vergütungen für Ökostrom seien zu hoch, sie müssten sinken, sonst würde es bald gar keine Unterstützung der Bürger für Windräder und Solarkraftwerke geben. Der Chef der halbstaatlichen Deutschen Energieagentur Stephan Kohler meinte, der völlig planlose Ausbau von Grünstromanlagen weitab von Stromnetzen und Verbrauchern müsse sofort aufhören, „sonst fährt die Energiewende gegen die Wand“. Und Sigmar Gabriel, als neuer Energiewendeminister frisch vereidigt, erklärte in einem seiner ersten Interviews, er finde erstens, der Atomausstieg sei 2011 zu hastig durchgepaukt worden, zweitens könne Deutschland nicht gleichzeitig aus Atom und Kohle aussteigen. Und drittens: die Förderkosten für Ökostrom müssten dringend runter. Die meisten Berliner Journalisten konnten sich vor Schreck gar nicht daran erinnern, dass vor längerer Zeit ein kleiner korpulenter Sozialdemokrat aus Goslar im Umweltministerium saß und dort vor allem die exorbitanten Solarförderungen widerstandslos durchwinkte, jedenfalls erwähnte es praktisch keiner, aber wie auch immer, Gabriel in seinem neuen, gewissermaßen noch unbenutzten Amt setzte einen ganz neuen Ton.
Im Februar 2014 schließlich – mein Buch war schon abgeschlossen – kam ein Sachverständigenrat der Bundesregierung zu dem Schluss, das Erneuerbare-Energien-Gesetz trage so gut wie nichts zur technischen Innovation bei, und sollte daher schleunigst abgeschafft werden. Genau das hatte ich einige Wochen vorher auch geschrieben, vor Kühnheit zitternd und gleichzeitig vor Angst, nach der Veröffentlichung nie wieder von meinen grünen Freunden eingeladen zu werden.
Wie fühlt es sich nun an, wenn der eigene kleine Nebenarm der Diskussion plötzlich zum Hauptstrom anschwillt? Überraschend. Aber ganz so konfliktlos verschmelzen die Ströme ja doch nicht. Sigmar Gabriel will das Erneuerbare-Energien-Gesetz umbauen, nicht abschaffen. Und die eigentliche Lobbyistenschlacht steht noch bevor: sie beginnt, wenn um Ostern herum genau feststeht, welcher Ökoenergieproduzent auf welche Wohltaten verzichten soll. Mehr als 20 Milliarden Euro verteilt das EEG um, und die Branche dürfte keinen einzigen Euro kampflos hergeben, sondern bei jedem einzelnen die Taifunopfer auf den Philippinen beschwören.
Die Teilwende der deutschen Energiepolitik überholt den Lesestoff des „Grüne Blackout“ nicht, nämlich die Geschichte, wie eine kleine, bestens organisierte Einflussgruppe es schaffte und größtenteils immer noch schafft, ihre eigenen Erwerbsinteressen zum Allgemeinwohl zu erklären. Das bleibt auch im März 2014 ein realitätsgesättigter Thriller. Aber: heimlich muss ihn jetzt keiner mehr lesen.