EEG-Unterstützer verzweifelt gesucht

Ich weiß, mit Prognosen sollte sich jeder vorsehen. Erst recht in eigener Sache. Als mir  der Pressclub Wiesbaden eine Einladung zum Streitgespräch über die Energiewende schickte, meinte ich, das Publikum auf meinem Blog schon mal einstimmen zu können. Eins würden die Gäste dort nicht zu hören bekommen, nämlich den Standardsatz aller Podiumsgespräche: ich bin ja ganz bei Ihnen. Meine Voraussage erwies sich allerdings als, nun ja, Pustekuchen.

Und das, obwohl mich der Presseclub beziehungsweise mein hochehrwürdiger ZDF-Kollege Reinhard Schlieker ausdrücklich als Autor des Buches „Der grüne Blackout. Warum die Energiewende nicht funktionieren kann“ gecastet hatte. Ambivalent kann man den Titel nicht gerade nennen. Mein Gegenspieler Jens Strüker, Professor für Energiemanagement an der Fresenius-Universität, würde das Gegenteil behaupten respektive beweisen. Also drehte ich gleich am Anfang alle rhetorischen Geschütztürme in seine Richtung: Erstens, in Norddeutschland wird schon jetzt an vielen Tagen weit mehr Grünstrom erzeugt als verbraucht; da sowohl Stromtrassen als auch Speicher fehlen, muss er oft massenhaft in Ausland verschenkt oder teuer entsorgt werden. Zweitens bestehen die windschwachen Südländer wie Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg trotz des Stromüberflusses im Norden darauf, ihre eigenen Windrädchen vorzugsweise in Waldgebiete zu stellen, und das, obwohl mittlerweile zwei Drittel der Mühlen im Binnenland rote Zahlen produzieren. Drittens decken die regenerativen Energien an sonnigen und windigen Junitagen schon den gesamten Strombedarf Deutschlands, bei stilltrübem Wetter wie im Dezember 2013 liefern sie allerdings kaum fünf Prozent der Elektroenergie  – ein Umstand, an dem auch jedes weitere Windrad nichts ändert. Folglich braucht Deutschland neben dem Ökostromsektor auch in Zukunft fast seinen gesamten konventionellen Kraftwerkspark, der selbst mehr und mehr zum Subventionsfall wird, weil er nur noch als Lückenspringer ans Netz darf. Die gesamte Operation Energiewende – Kosten bis heute: 400 Milliarden Euro – spart nicht ein Gramm Kohlendioxid, weil Windräder und Solarzellen keine Kilowattstunde berechenbare Grundlast ins Netz schicken. Was mich zu meinem Ceterum censeo führte: das Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG, muss weg – ein Gesetz, das die gewaltigste ökonomische Fehlentwicklung nach dem zweiten Weltkrieg befördert und außer ein paar  tausend Subventionsrittern keinem nützt.

Dann war Professor Strüker am Zug, und nach ein paar Minuten wurde mir klar, dass ich in Wiesbaden keine Chance zu einem Meinungskampf bekommen würde. Mein Gegenspieler sagte nämlich: Sehe ich im Prinzip genau so. In der Analyse seien wir uns sehr einig. Er finde auch, das EEG könne weg. Mit anderen Worten: ich bin ganz bei Ihnen.

Puhh. Eine rhetorische Breitseite, nur um zu sehen: Bei dem anvisierten Karthago handelt es sich um keine Festung, sondern um eine offene Stadt, über der scheinbar längst die weiße Fahne flattert.

Deshalb frage ich mit diesen Zeilen einmal in die ganz große Runde: Wer verteidigt eigentlich noch das EEG? Schon 2013 empfahl die Monopolkommission, ein Beratungsgremium führender Wirtschaftswissenschaftler, das EEG wegen gravierender Fehlsteuerungen zu streichen. Als nächstes empfahl eine von der Bundesregierung selbst eingesetzte Expertenkommission, das EEG zu streichen, weil es praktisch nichts zur technischen Innovation beitrage. Im Herbst 2014 empfahlen die so genannten Wirtschaftsweisen der Bundesregierung wiederum, das EEG abzuschaffen. Vor wenigen Tagen erklärte Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel bei einem Auftritt in Stuttgart, bei der Energiewende „passt so gut wie nichts zusammen“. Er sagte dort praktisch das Gleiche wie ich, der kleine unmaßgebliche Buchautor, in Wiesbaden. Aber irgendwelche Unterstützer muss es doch geben, die sich für die milliardenverschlingende Umverteilungs- und Chaosmaschine in die Bresche werfen. Franz „die Sonne schickt keine Rechnung“ Alt? Claudia „die EEG-Umlage wird nicht über 3,59 Cent steigen“ Kemfert? Jürgen „Eiskugel“ Trittin? Anyone? Wenn sie noch zu den EEG-Anhängern zählen, dann meiden sie jedenfalls seit einiger Zeit die Arenen des öffentlichen Meinungskampfes.

Praktisch alle Wirtschaftsexperten rammen das EEG in den Boden, der zuständige Minister hält es für ein missratenes Monstrum (siehe Stuttgarter Nachrichten). Aber trotzdem läuft es weiter und weiter, zerlegt die Energiewirtschaft und schluckt jährlich über 20 Milliarden. Karthago steht ohne Verteidiger da, bleibt aber rätselhafterweise Großmacht.

Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit, jetzt eine Massenpetition gegen das EEG zu starten.

 
Hier das Link zum Bericht des Wiesbadener Kuriers über die Diskussion.
Foto: Presseclub

Herr Gabriel macht einen Kompromiss

Tief ist der Brunnen der Vergangenheit, in den der Steuer- und Abgabenbürger gelegentlich schauen muss. Im Jahr 2005 kämpfte die SPD gegen eine drohende Merkel-Regierung, sie attackierte zu diesem Zweck vor allem die Ankündigung der Union, die Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte anzuheben. Das sei den Bürgern unzumutbar. Die SPD erfand den Slogan: „Merkelsteuer, das wird teuer.“ Nach der Wahl fanden sich die Sozialdemokraten in der Regierung mit Merkel wieder, und schlossen einen historischen Mehrwertsteuerkompromiss: Der Abgabensatz stieg nicht um zwei, sondern um drei Prozentpunkte.
Diese Geschichte des hart erkämpften Kompromisses wiederholt sich gerade. Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel trat sein neues Amt mit der Versicherung an, die Ökostromumlage müsse endlich einmal sinken, zumindest dürfe sie nicht weiter steigen. Die Belastung der Bürger sei hoch genug. Gerade die Sozialdemokraten müssten die Kosten der Energiewende in den Griff bekommen. Gabriel legte einen Entwurf für ein verbessertes Erneuerbare-Energien-Gesetz vor, plante hier eine kleine Begrenzung bei Windstromsubventionen und dort eine vorsichtige Kappung bei Biogas. Dann ging er in die Verhandlung mit den Bundesländern. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) hatte sich schon vorab beschwert und mitgeteilt, er halte Gabriels Subventionsgrenze von 2500 Megawatt Windkraft für neu errichtete Räder an Land pro Jahr für „reinen Sozialismus“.

Offenbar gibt es keinen schlimmeren Vorwurf unter Sozialdemokraten. Jedenfalls vereinbarte Sigmar Gabriel nach einer abendlichen Verhandlung mit den Ministerpräsidenten im Kanzleramt einen Kompromiss: Die Ökostromumlage sinkt nicht, sie bleibt auch nicht gleich. Sondern sie steigt weiter. Wenn bestehende Windräder an Land durch größere Rotoren ersetzt werden, dann fallen sie nicht unter die ohnehin schon großzügige Deckelung für Windkraftsubventionen, sondern dürfen sich auch jenseits der 2500-Megawatt-Line aus dem Umlagetopf bedienen. Auch diese Änderung drängten vor allem die Nordländer. Und es bleibt zwar im Prinzip bei Gabriels Vorstellung, nur noch den Neubau von 100 Megawatt jährlich bei Biogasanlagen zu subventionieren. Aber: Landwirte, die ihre bestehenden Anlagen weiter ausbauen, bekommen für den Strom aus dem Pflanzengas weiter praktisch unbegrenzt Subventionen. Diese kleine Korrektur lag vor allem Horst Seehofer am Herzen. Für Betreiber von Offshore-Windkraft-Plattformen verlängerte Gabriel selbst –  ziemlich unbemerkt von der Öffentlichkeit –  den Höchstfördersatz von 19 Cent pro Kilowattstunde. An der Strombörse kostet eine Kilowattstunde zurzeit ungefähr 4 Cent;  bei jeder Kilowattstunde Offshore-Windstrom muss der Stromkunde über die EEG-Umlage also 15 Cent zuschießen. Es dürfte weltweit nicht viele Fälle geben, in denen die Subventionshöhe eines Gutes mehr als das Dreifache des Basispreises beträgt.  Liegen die Anschlusskabel für eine Rotorenplattform nicht rechtzeitig, dann zahlt der Stromkunde auch: nämlich Offshore-Haftungsumlage.

Eine ganz naheliegende Idee stand übrigens weder vor, noch nach dem Kompromiss in Gabriels Gesetzentwurf, nämlich der Gedanke, die Subventionslaufzeit für neue Windräder, Solardächer und Biogasanlagen wenigstens zu begrenzen, auf fünf oder sieben Jahre, wenn schon die politische Kraft für die Abschaffung des EEG nicht reicht.  Die Betreiber aller neuen Grünstromanlagen, die jetzt und demnächst ans Netz gehen, können sich nach wie vor über 20 neue subventionierte Jahre freuen. Die EEG-Umlage ist damit mindestens bis in die dreißiger Jahre des 21. Jahrhunderts sicher.

Und der nächste Kompromiss auch.