Jürgen Trittin gehört seit gut drei Jahrzehnten zur politischen Grundausstattung dieser Republik. Mit seinem Ich-weiß-etwas-was-du-nicht-
Umso überraschter dürften Leser der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung1) gewesen sein, als sie im Wirtschaftsteil Jürgen Trittins Meinungsbeitrag lasen: „Wir müssen uns von Putins Gas befreien.“ Wer nun erwartete, Trittin würde für Fracking und Braunkohleverstromung plädieren, um die energiepolitische Abhängigkeit von Russland zu mindern, sieht sich schon auf den ersten Zeilen getäuscht. Er spricht sich auch nicht dagegen aus, sondern erwähnt die Tatsache, dass Deutschland mit Braunkohle einen einheimischen kostengünstigen Energieträgen besitzt und zusätzlichüber größere Gasvorkommen verfügt, mit keinem Wort. Stattdessen garantiert – Überraschung – nach seinen Worten der noch schnellere Ausbau der Grünenergien in Deutschland die Unabhängigkeit von Moskau und den Saudis. Trittin:
„Deutschlands Energiewende ist ein Beispiel für ein Gewinn an Unabhängigkeit und Souveränität. Der stürmische Ausbau der erneuerbaren Energien …macht pro Jahr Importe im Wert von 10 Milliarden Euro überflüssig. Dieses Geld trägt in Deutschland zur Wertschöpfung bei, es stärkt weder Putin noch den saudischen König Abdallah.“
Übergehen wir einfach den Umstand, dass die durch die Ökoenergien fast ausschließlich Strom erzeugt wird, den Deutschland auch früher nicht aus Saudiarabien bezogen hatte, umgehen wir also die kleine Unwucht in Trittins Gedankengang und wenden uns den Zahlen zu: Es kann sein, dass die Energiewende rein rechnerisch Brennstoffimporte im Wert von 10 Milliarden Euro pro Jahr spart. Allerdings um den Preis von mehr als 20 Milliarden Euro Subventionen pro Jahr. Nach diesem Modell könnte die Bundesrepublik auch den staatlich geförderten Ananasanbau in Niedersachsen vorantreiben, um die Kosten des Südfrüchteimports zu sparen. Und was die Wertschöpfung im Inland angeht: Eine beeindruckend lange Reihe von grünen Ex-Unternehmen, von Solo und Q-Cells über Conergy, Windreich und Windwärts kann sich wegen einer leider dazwischengekommenen Insolvenz leider nicht mehr so Recht an der Wertschöpfung beteiligen. Die Solarworld AG, Deutschlands letzter großer Solarmodulhersteller, plant in diesem Jahr einen Verlust von 20 Millionen Euro. Jeder dritter so genannte Bürgerwindpark erwirtschaftet noch nicht einmal die Bankzinsen.
Auf der anderen Seite errichtet die Wacker Chemie AG aus dem bayerischen Burghausen gerade ein Werk in Tennessee, USA, weil dort die Energiepreise, dank Fracking, bei etwa der Hälfte der deutschen liegen. Und die Chemieindustrie als Ganzes investiert in den kommenden fünf Jahren nur noch 25 Prozent ihres Geldes im eigenen Land,den Rest auswärts.
Beeindruckend fällt an Jürgen Trittins Plädoyer vor allem eines aus: Mit keinem Wort erwähnt er die Kampagne von BUND, Grünen und anderen, um nach dem durchgesetzten Atomausstieg auch noch die Kohle aus dem Netz zu drängen, unter dem Motto: „Kohle nur noch zum Grillen“. Es würde auch nicht ganz in seine Argmentationslinie passen.
Wenn die restlichen neun Atommeiler in den kommenden Jahren abgeklemmt werden, Kohle die Stelle des neuen Menschheitsfeindes einnimmt, und das eigene Gas dank eines hysterisch durchgesetzten Frackingverbotes im Boden bleibt, dann stellt sich allerdings die Frage: Womit soll dann die Grundlast im deutschen Stromnetz erzeugt werden? Denn Sonne und Wind können zwar an einem ertragreichen und bedarfsschwachen Tag – wie im Sommer 2013 geschehen – fast den gesamten Strom Deutschlands allein erzeugen, oft genug fließt dann das Netz über. An trüben Wintertagen schnurrt der Grünstromanteil allerdings auf ein Fünfzigstel der installierten Leistung zusammen. Weder am Wetter noch an Deutschlands Breitengrad kann die Politik etwas ändern. Die meisten Politiker wissen mittlerweile, was viele Stromverbraucher noch nicht verstehen: Dass die Energiewende den konventionellen Kraftwerkspark gar nicht verdrängt, sondern den Aufbau eines wetterabhängigen und extrem teuren Zweitsystems bedeutet. Je stärker dieses Zweitsystem wächst, desto dringender stellt sich die Frage, womit es abgepuffert werden soll, wenn nach grüner Orthodoxie einheimische Rohstoffe nicht verstromt, ja am besten noch nicht einmal abgebaut werden dürfen. Was bleibt also, um die Lücke zu füllen? Gas? Aus Russland?
Vermutlich musste sich Trittin bei der Abfassung seines FAS-Textes wie ein Schüler gefühlt haben, dem am Ende seines Traktates siedendheiß das Aufsatzthema einfällt,an dem er gerade vorbei schreibt. Puh! Wie kommt man da wieder raus? Europa hilft immer:
„Wir brauchen anspruchsvolle…Ausbauziele für Erneuerbare wie für Energieeffizienz für die EU – unterlegt mit verbindlichen Zielen für jeden einzelnen Mitgliedstaat.“
Wer ist hier eigentlich „wir? Um mit Gerhard Polt zu antworten: Ich nicht. Eigentlich ist Trittins Argumentation aber ganz folgerichtig, wenn man es auch nicht auf den ersten Blick erkennt: Sollte die Bundesregierung tatsächlich anfangen, Frankreich mit seinem Atomstrom und Polen mit seiner Braunkohle die deutsche Energiewende aufzudrängen, dann erledigt sich Problem um Putin und die Krim – wie hätte Jürgen Trittin früher gesagt? – automatisch als Nebenwiderspruch.
Abgesehen davon: die Ukraine, der Maidan, die Demokraten in Russland und Putins Politik interessieren Trittin in seiner Wortmeldung nicht eine Millisekunde lang – sondern nur die Frage, was aus der Krimkrise argumentativ für seine Klientel herausspringt.
Von der Cheshire Cat in Alice im Wunderland blieb bekanntlich noch ihr Grinsen in der Luft hängen, als sich die Katze selbst schon unsichtbar gemacht hatte. Wahrscheinlich ist es auch dieses vertraute Ich-weiß-Bescheid-Lächeln, das irgendwann einmal von Jürgen Trittin bleiben wird.
1) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 16. März 2014 ↑